Universum
Der Streit zwischen Kirche und Wissenschaft
Viele große Wissenschaftler waren gleichzeitig gläubige Christen. Und doch gab es über die Jahrhunderte immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Wissenschaft.
Von Martina Frietsch
Das christliche Weltbild wankt
Bis zum Mittelalter lebten die christliche Kirche und die Wissenschaft vergleichsweise friedlich miteinander. Solange die Erkenntnisse der Wissenschaftler nicht am Weltbild der katholischen Kirche rüttelten, war deren Anspruch auf die absolute Wahrheit nicht gefährdet.
Die Kirche zeichnete ihren Gläubigen ein sehr anschauliches Weltbild: Angeblich stand die Erde unbeweglich im Mittelpunkt des Universums. Oben war der Himmel, unten war die Hölle und dazwischen auf der Erde herrschte der Mensch über alle Lebewesen.
Die Erde als Zentrum: Weltbild des Ptolemäus
Doch dann kam Nikolaus Kopernikus, ein Domherr und Astronom aus Westpreußen: Er erkannte, dass die Sonne im Mittelpunkt des Universums stehe und dass die Erde sich um sie drehe. Im Jahr 1616 verbot die Kirche die Mitte des 16. Jahrhunderts veröffentlichte so genannte "kopernikanische Lehre".
Auf der Grundlage von Kopernikus' Weltbild entwickelte der italienische Philosoph und ehemalige Priester Giordano Bruno seine Theorie des unendlichen Weltalls, das unendlich viele Sonnen und endlich viele Planeten enthalten solle. Außerdem stritt Giordano Bruno auch noch die heilige Dreieinigkeit ab. Das war für die Kirche ebenso inakzeptabel wie gefährlich: Im Februar des Jahres 1600 wurde er als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Der Fall Galilei
So weit kam es bei Galileo Galilei zwar nicht. Doch der italienische Physiker und Astronom wurde mit Hausarrest und Veröffentlichungsverbot belegt.
Im Jahr 1609 hatte er den Himmel durch ein Fernrohr betrachtet und fand die Theorien von Kopernikus bestätigt. Er veröffentlichte seine Beobachtungen und legte sich zum ersten Mal mit der Kirche an.
Und Galilei begnügte sich nicht damit, Belege für das "heliozentrische Weltbild" mit der Sonne im Zentrum zu liefern, sondern forderte die Kirche auf, die Bibel neu zu interpretieren.
Galileo Galilei
Obwohl die Kirche 1616 seine gesamte Lehre verbot und sich Galilei zumindest offiziell daran hielt, arbeitete er insgeheim weiter. 1632 veröffentlichte er sein Werk "Dialogo", in dem er in Dialogform drei Sprecher über die beiden unterschiedlichen Weltbilder diskutieren lässt – ein recht bissiges Werk, bei dem der Vertreter des "geozentrischen Weltbildes" (mit der Erde im Zentrum) nicht gut abschneidet.
Zum großen Ärger der Kirche hatte er den Dialogo auch noch auf Italienisch und nicht in lateinischer Sprache geschrieben, damit auch Nicht-Gelehrte das Werk verstehen konnten.
Es war ein Frontalangriff auf die Kirche, auf ihre Autorität. Galilei stellte wissenschaftliche Erkenntnisse über die theologischen Interpretationen, erkannte die Bibel nicht als wissenschaftliche Autorität an und wurde erneut angeklagt. 1633 musste er seine Lehren zurückziehen ("widerrufen").
Erst 200 Jahre später nahm der Vatikan Galileis Werke vom Index der verbotenen Bücher und es dauerte noch einmal 150 Jahre, bis sich eine von Papst Johannes Paul II. eingesetzte Kommission des Falls Galilei annahm. Nach 13-jähriger Arbeit kamen die Kirchenmänner zu dem Schluss, die Kirche habe 1633 einen Fehler begangen.
Ein schwieriges Verhältnis
Auch mit der "Theorie von der biologischen Evolution", verfasst vom englischen Naturforscher Charles Darwin, hatte die Kirche lange Zeit ihre Schwierigkeiten. Denn diese Theorie widerspricht der Schöpfungsgeschichte aus der Bibel, wonach der Mensch am sechsten Tag von Gott erschaffen wurde.
Zwar wurde Darwins Theorie nie offiziell abgelehnt und seine Bücher kamen nie auf den Index, doch erst im Jahr 1996 akzeptierte der Vatikan die Evolutionstheorie offiziell.
Charles Darwin
Viele Päpste versuchten in ihrer Amtszeit, das schwierige Verhältnis von Kirche und Wissenschaft zu klären und bezogen Position. Papst Pius IX. sorgte 1864 mit dem "Syllabus" – einer Liste von 80 als ketzerisch angesehenen Irrtümern – für eine Abschottung gegen den Modernismus.
1893 verkündete Papst Leo XIII.: "Sicherlich wird zwischen dem Theologen und Naturforscher kein wahrer Zwiespalt eintreten, wenn nur beide sich auf ihr Grenzgebiet beschränken."
1910 führte Papst Pius X. den sogenannten Antimodernisteneid ein, der bis 1967 von allen Klerikern der katholischen Kirche zu schwören war. Wie schon Pius IX. wandte er sich damit gegen sämtliche modernistische Strömungen.
Erst Papst Johannes Paul II. bemühte sich ernsthaft, den Konflikt zwischen Kirche und Wissenschaft endlich beizulegen. Unter Papst Benedikt XVI. schien der Streit ein Ende gefunden zu haben. Bei mehreren Gelegenheiten betonte Benedikt: Glaube und Wissenschaft seien durchaus keine Gegensätze, sondern miteinander vereinbar.
Der Papst lässt forschen
Bereits drei Jahre nach der Verbrennung Giordano Brunos und noch bevor Galileo Galilei der erste Prozess gemacht wurde, entstand im Vatikan die erste päpstliche Gelehrtenakademie, die sich eigenen Forschungen widmete. 1936 erhielt die Akademie neue Statuten und den heutigen Namen: "Pontificia Accademia dei nuovi Lincei – Päpstliche Akademie der neuen Wissenschaften".
Giordano Bruno
Der Akademie gehören heute etwa 80 hochrangige Wissenschaftler aus aller Welt an, viele von ihnen sind Nobelpreisträger. Sie werden vom Papst direkt ernannt, sie müssen keiner bestimmten Konfession angehören und es werden auch Frauen aufgenommen. Eines der prominentesten Mitglieder war lange Zeit der britische Physiker Stephen Hawking – übrigens ein bekennender Atheist.
Alle zwei Jahre treffen sich die Wissenschaftler, um über Themen zu sprechen, die aus allen Wissensgebieten kommen können. In den vergangenen Jahren ging es beispielsweise um Umweltthemen, Genforschung und gentechnisch veränderte Lebensmittel, Hirnforschung oder den Ursprung des Lebens.
Zwar betont der Vatikan, dass der Papst keinen Einfluss auf die Auswahl der Themen ausübt, eines bleibt jedoch immer stillschweigend außen vor: die Empfängnisverhütung.
Die Akademie ist nach offiziellen Angaben des Vatikans geschaffen worden, um die wissenschaftliche Freiheit zu sichern und Forschungen zu fördern. Alle Ergebnisse der Treffen werden dem Papst mitgeteilt, der sich so über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse informiert und diese wiederum in seine Entscheidungen und Botschaften einfließen lässt.
Benedikt XVI. kannte die Arbeit der Akademie auch von der anderen Seite: Er war früher selbst Mitglied dieses internationalen Gremiums.
Vatikanischer Weitblick
Ungeachtet aller Auseinandersetzungen mit Astronomen und anderen Wissenschaftlern besitzt der Vatikan eines der ältesten Observatorien der Welt. 1578 wurde der "Windturm" gebaut und jesuitische Astronomen und Mathematiker nutzten ihn für die Arbeiten an der gregorianischen Kalenderreform.
Zum ursprünglichen Turm kamen über die Jahrhunderte mehrere Neubauten hinzu. Mit dem Observatorium auf dem Vatikanhügel hinter der St. Peter-Basilika bezweckte Papst Leo XIII. laut Vatikan sogar, "den beständigen Anklagen gegen die Kirche, sich gegen den wissenschaftlichen Fortschritt zu stellen, entgegenzuwirken".
Heute unterhält die Vatikanische Sternwarte Kooperationen mit anderen Observatorien und besitzt in Arizona ihr eigenes vatikanisches High-Tech-Teleskop (VATT). Zum Forschungsprogramm gehören unter anderem kosmologische Modelle, Entstehung neuer Sterne, spektrale Klassifizierung spezieller Sterne und die Geschichte der Wissenschaft.
Ergebnisse werden unter anderem in internationalen Zeitschriften veröffentlicht; alle zwei Jahre tagen geladene Wissenschaftler zu den Themen des Observatoriums.
Kirche und Wissenschaft heute
Die Wissenschaft dringt immer weiter in alle Bereiche vor – in die Welt der Atome und der Nanopartikel ebenso wie in die Weiten des Alls. Wissenschaftler verändern das Erbgut von Pflanzen, klonen Tiere, die Medizintechnik macht rasante Fortschritte.
Die Kirche hat heutzutage weder Einfluss auf die Forschung, noch auf deren Erkenntnisse oder Veröffentlichungen. Und je mehr Bereiche die Wissenschaft durchdringt, desto weniger Raum bleibt für Erklärungen der Kirche. Ein neuer Standort ist gefragt.
Die Kirche von heute fungiert eher als moralische Instanz bei der Bewertung wissenschaftlicher Arbeit. Auch die bildlichen Erklärungen, die Theologen früher direkt der Bibel entnahmen, sind heute nicht mehr haltbar.
Die Kirchenvertreter trösten sich hingegen damit, dass erst ein kleiner Teil dessen erforscht ist, was erforscht werden kann. Oft werden die fehlenden Teile mit Erklärungen der Religion gefüllt.
Der Vatikan hat Wissenschaft und Kirche als miteinander vereinbar erklärt. Doch es gilt auch weiterhin: Bei den beiden Wissensquellen Vernunft und Offenbarung hat die Offenbarung, also der Glaube, noch immer den Vorrang.
Gebiete, auf denen Kirche und Wissenschaft ihre Positionen abstecken und gegeneinander abgrenzen können, gibt es indes noch genug. Dazu gehören beispielsweise die Diskussion um die Sterbehilfe, den Urknall oder die Spekulation darüber, ob es weiteres Leben im Universum gibt und wie dies im Zweifelsfall mit der Bibel vereinbar sein könne.
Unnachgiebig zeigt sich der Vatikan heute vor allem bei Themen wie der Fortpflanzung. Empfängnisverhütung und künstliche Befruchtung werden ebenso kategorisch abgelehnt wie die Stammzellenforschung.
Quelle: SWR | Stand: 15.07.2020, 10:00 Uhr