Die Kunst des Fliegens
Flügel sind der Schlüssel zum Geheimnis des Fliegens. Um vom Boden abzuheben, müssen Schwerkraft und Luftwiderstand überwunden werden. Die Kunst des Fliegens beruht auf der Form der Flügel sowie auf der jeweiligen Flugtechnik. Per Muskelkraft gelingt es Vögeln, Insekten und Fledermäusen, gleichzeitig Auf- und Antrieb zu erzeugen.
Für das selbstständige Fliegen scheint auch das Körpergewicht ein begrenzender Faktor zu sein: Das Flughöchstgewicht liegt bei rund 18 Kilogramm. Neben der Leichtbauweise ist außerdem eine schnittige Form günstig.
Besonderen Erfolg im luftigen Element beweist das Modell Vogel. Der stromlinienförmig gebaute Körper besteht überwiegend aus luftgefüllten Knochen. Das Gefieder bietet weitere Vorteile: Es ist "federleicht", stabil und wächst nach.
Die Insekten haben eine große Variationsbreite bei der Ausprägung ihrer Flügel anzubieten. Es gibt Vierflügler und Zweiflügler mit unterschiedlichen Flügelformen, deren Tragfläche mit hohlen Adern durchzogen ist. Das Flügelmaterial ist eine Art Verbundwerkstoff aus Chitin und Protein. Wissenschaftler vergleichen die Härte und Elastizität von Libellenflügeln sogar mit Plexiglas.
Neben dem aktiven, durch Muskelkraft erzeugten Flug beherrschen andere tierische Flieger nur den passiven Flug. Fliegende Amphibien oder Reptilien etwa gehören zu den Gleitfliegern, die meist an eine höher gelegene Stelle klettern und von dort aus durch die Lüfte segeln.
Der Flügel einer Gans
Die Geschichte vom Fliegen
Beim Kampf ums Überleben war und ist Fliegen eine gute Strategie: Die Flucht nach oben dient als Rettung vor Feinden, als Möglichkeit, fernab der anderen an Nahrung zu kommen oder aber, um den Nachwuchs an luftigen, für potenzielle Feinde unerreichbaren Orten zu schützen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach – wenn auch bislang nicht bewiesen – entwickelte sich das Fliegen aus einer Art "Herabgleiten" von erhöhten Positionen. Noch bevor sich die Vögel in die Luft erhoben, beherrschten Insekten bereits die Kunst des Fliegens.
Die ersten Fossilien von fliegenden Insekten stammen aus dem Karbon, sie sind rund 360 Millionen Jahre alt. Sie zeigen Tiere mit voll ausgebildeten beweglichen Flügeln. Rund 100 Millionen Jahre später folgten die ersten Flugsaurier, die als Vorläufer der Vögel gelten.
Während sich die Flügel der Vögel aus den Vorderextremitäten ihrer evolutionären Vorläufer entwickelten, entstanden die Insektenflügel aus Hautausstülpungen, in denen keine Muskeln zu finden sind.
Der Traum vom Fliegen
Die Anfänge des Fliegens reichen bis in die Antike zurück. Der griechischen Sage nach soll bereits Daidalus mit selbst gebauten Flügeln aus Federn und Wachs seinem Gefängnis entkommen sein, dem Labyrinth des Minotaurus auf Kreta.
Leonardo da Vinci zeichnete Flugmaschinen, die den Vogelflug kopierten und die mit den Armen angetrieben werden sollten. Ein Prinzip, das an der Schwere des menschlichen Körpers und an der Schwäche der Muskeln scheiterte.
Der erste Mensch, dem es gelang, größere Strecken fliegend zurückzulegen, war Otto Lilienthal. Er bewies ab 1891 in mehr als 2000 Gleitflügen, die er von erhöhten Geländepunkten herab startete, dass gewölbte Flächen – sofern sie nur groß genug sind – den Menschen tragen.
Otto Lilienthal bei einem Flugversuch am 29. Juni 1895
1896 jedoch stürzte Lilienthal tödlich ab. Zum Verhängnis wurde ihm unter anderem, dass er seinen Fluggleiter durch Körperbewegungen steuerte. Er kannte noch keine Steuerruder, wie sie bei modernen Flugzeugen eingesetzt werden.
1903 glückte den Gebrüdern Wright der erste Motorflug, mit dem das Zeitalter der Luftfahrt begann.
Seitdem darf auch der Mensch seinen Traum vom Fliegen leben, wenn auch in eingeschränkter Form, stets mit Hilfsmitteln und ausgeklügelter Technik. Der Traum vom selbstständigen, aktiven Fliegen aber wird wohl immer unerfüllt bleiben.
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 24.08.2020)
Quelle: SWR