Kritik an gesteuerter Fortpflanzung
Der erste Zoo der Welt wurde im Jahr 1752 vom österreichischen Kaiser Franz Stephan I. in Wien gegründet. Er war anfangs jedoch mehr ein höfisches Tiergehege und hatte mit den heutigen Zoos kaum etwas gemein.
Anders die "Ménagerie du Jardin des Plantes", die 1794 in Paris entstand: Sie gilt als erster wissenschaftlich geführter Zoo.
Im Zeitalter der Aufklärung wandelten sich Zoos nach und nach von Orten der Betrachtung zu Stätten der Wissenschaft. Gelehrte forderten, die Leitung von Zoos und Tiergehegen in die Hände von fähigen Naturwissenschaftlern zu legen und beispielsweise Artenkreuzungen vorzunehmen. Damit war der Grundstein für die Zucht von Tieren in Zoos gelegt.
Allerdings waren die Lebensbedingungen der Zootiere noch bis weit ins 20. Jahrhundert oft so schlecht, dass Verhaltensstörungen auftraten und viele Tiere nicht lange im Zoo überlebten.
Für die Menagerien wurden viele wilde Tiere herbeigeschafft
Diesen und anderen Vorwürfen sehen sich Zoos manchmal auch heute noch gegenüber. Besonders die gesteuerte Fortpflanzung wird kritisiert.
Der Vorwurf: Bestimmte Tiere sollen sich fortpflanzen, und die Zoodirektoren, Tierärzte und Pfleger unternähmen alles dafür, dass es klappt. Andere Tierarten dagegen würden durch Sterilisation, Verhütung oder schlicht durch Platzmangel davon abgehalten, sich zu paaren – das sei unnatürlich und deshalb schlecht für die Tiere.
"Was ist denn in der Natur noch normal?", erwidert darauf Jörg Adler, der frühere Direktor des Allwetterzoos Münster. "Die Menschen sorgen mit ihrem Verhalten dafür, dass Tiere in der freien Natur vom Aussterben bedroht sind. Für diese Arten geht es ums nackte Überleben. Da kann man sich bei der Zucht im Zoo nicht immer danach richten, was für ein Tier natürlich ist."
Zoos als "wissenschaftliche Einrichtung zur Erhaltung von Arten"
Adler kennt die Welt des Zoos seit rund 50 Jahren und hat erlebt, wie sich die Haltung gegenüber der Zucht geändert hat: "Früher haben wir im Zoo gezüchtet, was das Zeug hält – am liebsten die Tiere, bei denen die Babys besonders niedlich aussehen und die bei den Besuchern gut ankommen."
Umstrittene Handaufzucht
Doch seit den 1980er-Jahren habe ein Sinneswandel stattgefunden. "Heute züchten wir dort, wo Tierbestände gesichert sind, nur noch so viel, wie genetisch sinnvoll ist", erklärt Adler. Der Zoo als wissenschaftliche Einrichtung zur Erhaltung von Arten – allein durch diese Funktion sei ein Zoo legitimiert, so Adler.
Koordiniert und gesteuert wird die europaweite Zucht von der europäischen Zoovereinigung EAZA. Jede gefährdete Tierart hat ihr eigenes Programm.
Ein Koordinator, der in einem EAZA-Mitgliedszoo arbeitet und sich besonders gut mit einer Tierart auskennt, wacht über deren Zucht: Er sammelt Daten über die Tiere in den verschiedenen Zoos der EAZA und pflegt sie in ein Computerprogramm ein. Anschließend ermittelt er damit, welche Männchen und Weibchen gut miteinander Junge haben können.
Dabei muss der Koordinator darauf achten, dass die Tiere verwandtschaftlich möglichst weit voneinander entfernt sind. Denn: Je enger verwandt, desto größer die Gefahr eines genetischen Defekts beim Nachwuchs.
Zucht im Zoo: "Mehr Vorteile als Nachteile"
Schwierig wird es für die Zoos, wenn die Mutter das Junge nicht annimmt, oder wenn so viele Jungtiere geboren werden, dass nicht ausreichend Platz da ist. Wohin mit diesen Tieren?
Aus Rücksicht auf die Besucher hat sich der Allwetterzoo Münster dafür entschieden, Paarungen bei bestimmten Tierarten zu unterbinden, um nicht dazu gezwungen zu sein, anschließend Jungtiere töten zu müssen. Da stünden die Emotionen der Öffentlichkeit im Weg.
Bei Elefanten muss die Zucht noch verbessert werden
"Ich finde das scheinheilig: Es werden jeden Tag Tausende von Tieren für den menschlichen Nutzen umgebracht. Das finden die Leute normal. Aber wenn wir uns aus sinnvollen Gründen dazu entscheiden, Tiere sich paaren zu lassen und dann ein oder zwei Junge überzählig sind und wir sie einschläfern müssen, ist das Geschrei riesig", ärgert sich Adler.
Bestimmte Tierarten wären längst ausgestorben, wenn nicht Zoos eingegriffen und gezüchtet hätten. Deshalb ist Adler davon überzeugt, dass die Vorteile der Zucht im Zoo die Nachteile und Risiken bei weitem überwiegen.
Bei bestimmten Tierarten müssen die Zuchterfolge langfristig verbessert werden, damit diese nicht doch aussterben – beispielsweise bei Elefanten sowie bestimmten Fisch- und Reptilienarten. Selbst eine noch so gute, artgerechte Haltung im Zoo ist eben nicht mit den natürlichen Bedingungen vergleichbar.
Adler ist dankbar für die konstruktive Kritik, die in den 1970er- und 1980er-Jahren von Tierschutzverbänden, internationalen Vereinen und Einzelpersonen geübt wurde.
"Viele Sachen waren und sind absolut berechtigt. Die Tierhaltung war in vielen Zoos nicht akzeptabel, und es gibt auch heute noch schwarze Schafe." Er ärgert sich nur über unsachliche Vorwürfe, die inzwischen allerdings nicht mehr häufig vorkommen.
Artenerhaltung als erste Priorität der modernen Zoos
An der Faszination, die exotische und wilde Tiere auf den Menschen ausüben, hat sich seit der Zeit von Kaiser Franz I. nichts geändert. Doch die Einrichtung Zoo hat sich stark gewandelt – vom Ort der Beobachtung zum Artenschutzzentrum.
Die meisten deutschen Zoos haben heute nichts mehr mit dem oft angeprangerten reinen Zurschaustellen von Tieren zu tun, sondern sind wissenschaftlich geführte Einrichtungen, die mit kontrollierter Zucht dafür sorgen, dass Tierarten erhalten bleiben.
Auch einige Wolf-Unterarten sind inzwischen gefährdet
(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 19.07.2019)
Quelle: WDR