Panzer gegen Fressfeinde
Dass es Dynamit überhaupt gibt, ist einer schicksalhaften Begegnung des schwedischen Erfinders Alfred Nobel mit den Kieselalgen zu verdanken.
Kieselalgen, auch Diatomeen genannt, haben im Laufe ihrer Evolution eine ganz besondere Strategie zum Schutz vor Fressfeinden entwickelt. Die winzigen einzelligen Algen bilden einen Panzer aus Siliziumdioxid. Jeweils zwei Schalenhälften umgeben die verletzlichen Einzeller. So sehen sie beinahe aus wie kleine Käseschachteln.
Teilt sich eine Zelle, öffnet sich das "Siliziumdioxid-Schächtelchen" und jeweils eine kleinere Hälfte wird neu gebildet. Die Schalen sind so raffiniert konstruiert, dass sie trotz ihrer Zartheit und Leichtigkeit gewaltigem Druck standhalten können. Eine harte Nuss für Fressfeinde.
Begehrter Rohstoff aus Algen-Fossilien
Sterben die Kieselalgen, lagern sich die Schalen in den Sedimenten von Meeren und Seen ab. So geschah es auch in Gewässern, die sich in eiszeitlichen Wärmeperioden zum Beispiel in der Lüneburger Heide gebildet hatten.
Das Wasser ist schon lange verschwunden – nicht aber die winzigen Panzer der Kieselalgen. Sie haben die lange Zeit überdauert und zeugen als Kieselgur von einem Leben längst vergangener Zeiten.
Lange bemerkte man nichts von den mächtigen Schichten weißer Erde aus Kieselalgen-Fossilien, bis 1836 ein Frachtfuhrmann beim Brunnenbohren auf eine Schicht merkwürdiger weißer Erde mit mehliger Substanz stieß: Der Bodenschatz Kieselgur war entdeckt.
Mit diesem Material konnten Bauern Schädlingen zu Leibe rücken, Ärzte Wunden behandeln, Brauereimeister Bier filtern. Der Bedarf war so groß, dass die Förderung von Kieselgur sich in der Lüneburger Heide zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig entwickelte. Bis Mitte der 1990er-Jahre wurde dort die kostbare Diatomeenerde gefördert.
Alfred Nobel und die Kieselgur
14 Jahre nach der Entdeckung der Kieselgur arbeitete Alfred Nobel, damals 17 Jahre alt, als Laborgehilfe bei einem angesehenen Pariser Chemiker: Professor Théophile-Jules Pelouze.
Dort lernte er den Turiner Arzt Ascanio Sobrero kennen, der 1847 das Nitroglyzerin erfunden hatte. Dieser hochexplosive Sprengstoff hatte es Alfred Nobel angetan – er wollte das Nitroglyzerin zähmen und für den Berg- und Tunnelbau nutzbar machen.
Allerdings liefen die anschließenden Forschungen in Schweden nicht reibungslos ab: 1864 explodierten bei einem Versuch 150 Kilogramm Nitroglyzerin. Fünf Menschen wurden in den Tod gerissen, darunter auch Alfred Nobels jüngerer Bruder.
Die schwedische Regierung verbot daraufhin das Experimentieren mit Nitroglyzerin innerhalb bewohnter Gebiete. Die Forschung und Produktion fanden seitdem auf einem Hausboot statt, das auf dem Mälarsee ankerte. 1865 gründete Alfred Nobel eine neue Fabrik in Hamburg. Und wieder passierten Unglücke mit dem Sprengöl.
Die Geburtsstunde des Dynamits
Ein Jahr später fand Alfred Nobel einen Ausweg – der Legende nach durch einen Zufall: Das Nitroglycerin wurde in Weißblechkannen transportiert, die zum Schutz gegen Erschütterungen in Kieselgur gebettet waren. Ein Behälter war undicht, und das Nitroglyzerin lief aus. Die weiße Diatomeenerde nahm die Flüssigkeit vollständig auf.
Das war die Lösung! Kieselgur stabilisierte das Nitroglyzerin und machte es wesentlich ungefährlicher in der Handhabung. Alfred Nobel patentierte seine Paste aus 75 Prozent Nitroglyzerin, 24,5 Prozent Kieselgur und 0,5 Prozent Natriumcarbonat und nannte sie "Dynamit", nach dem griechischen Begriff "Dynamis" = Kraft.