Drei Völker teilen sich die Insel
Jede Besatzungsmacht hinterließ auf ihre Spuren auf der Insel. Die Fremden übernahmen alte Traditionen, wandelten sie um und brachten neue Einflüsse mit. So entstand im Laufe der Jahrtausende eine ungeheuer vielfältige Kulturlandschaft, die in Europa ihresgleichen sucht.
Die vorgeschichtliche Entwicklung Siziliens liegt weitgehend im Dunkeln. Funde von Felszeichnungen und Essensresten belegen zwar eine frühe Besiedlung vor mehr als 10.000 Jahren, doch wer die ersten Bewohner der Insel waren und woher sie kamen, ist bis heute unbekannt.
Gegen Ende des 2. Jahrtausends vor Christus tauchen die ersten namentlich bekannten Kolonisatoren auf Sizilien auf. Zunächst besiedeln Sikaner die Insel. Deren Herkunft ist in der Geschichtsforschung umstritten. Sie kamen entweder aus Nordafrika, vom italienischen Festland oder aus dem antiken Iberien (dem heutigen Georgien) nach Sizilien. Den Sikanern folgen die vermutlich aus der Gegend um Troja geflüchteten Elymer. Aus Mittelitalien setzen die Sikuler nach Sizilien über und besetzen den Ostteil der Insel.
Alle drei Völker besitzen eine hoch stehende Kultur und Kenntnisse in der Bronze- und Eisenverarbeitung. Sie teilen Sizilien unter sich auf: Die Elymer bleiben im Westen, die Sikuler im Osten und die Sikaner dazwischengedrängt.
Kulturelle und wirtschaftliche Blüte unter den Griechen
Die strategische Lage Siziliens bleibt anderen mächtigen Völkern des Altertums nicht verborgen. Zunächst gründen Phönizier im Westteil der Insel Handelsniederlassungen und verdrängen die dort ansässigen Elymer. Den Ostteil der Insel besiedeln ab dem 8. Jahrhundert vor Christus erstmals griechische Stämme.
In den folgenden Jahrzehnten kommen immer mehr Griechen nach Sizilien. Sie drängen die einheimische Bevölkerung ins unwegsame Bergland ab und schieben ihre eigenen Siedlungen immer weiter nach Süden und Westen vor.
Der Großteil der einheimischen Bevölkerung übernimmt den griechischen Glauben und die griechische Kultur. Nur im Nordwesten hält sich noch eine Allianz der Phönizier und Elymer.
Der zunehmende Reichtum der griechischen Stadtstaaten auf Sizilien ruft Neider hervor. Das mächtige Karthago, das phönizischen Ursprungs ist, geht im 5. Jahrhundert vor Christus eine strategische Allianz mit den Persern ein, um der griechischen Kultur im gesamten Mittelmeerraum den Garaus zu machen.
Während die Perser das griechische Mutterland angreifen, stürzt sich Karthago auf Sizilien. Doch die Griechen schlagen ihre Gegner in beiden Schlachten vernichtend.
Die griechische Kultur auf Sizilien erfährt in der Folgezeit ihre größte Blüte. Überall werden großartige Tempel gebaut, die Stadt Syrakus im Osten Siziliens steigt zu einer der mächtigsten Metropolen im Mittelmeerraum auf. Auch ein Angriff Athens, das um seine griechische Vormachtstellung besorgt ist, kann erfolgreich zurückgeschlagen werden, allerdings unter großen Verlusten.
Niedergang unter römischer Herrschaft
Die zahlreichen Kriege haben die griechischen Städte stark geschwächt. Der Druck Karthagos nimmt zu. Die Nordafrikaner verleiben sich eine Stadt nach der anderen im Westen ein und schicken sich an, ganz Sizilien zu übernehmen. Das ruft im 3. Jahrhundert vor Christus die immer stärker werdenden Römer auf den Plan.
Im Ersten Punischen Krieg mit Karthago (264 bis 241 vor Christus) reißen sie schon einen Großteil der Insel an sich, im Zweiten Punischen Krieg (218 bis 201 vor Christus) fällt dann der Rest Siziliens an Rom.
Die Römer haben jedoch kein Interesse, die griechische Kultur aufrechtzuerhalten. Sie bauen die Insel zur Kornkammer Roms aus, holzen fast den gesamten Waldbestand ab und unterdrücken die Bevölkerung. Sizilien wird zur unbedeutenden Provinz.
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus erleidet Sizilien das gleiche Schicksal wie viele andere Mittelmeerregionen. Zunächst ziehen Vandalen plündernd über die Insel, ihnen folgen wenig später die Ostgoten. 535 besetzt Byzanz Syrakus und regiert von dort aus fast drei Jahrhunderte die Insel.
Wiederaufbau unter den Arabern
Anfang des neunten Jahrhunderts sind die Byzantiner hoffnungslos zerstritten. Admiral Euphemios, Statthalter von Syrakus, will gegen den Kaiser im fernen Byzanz aufbegehren und ruft den Emir von Kairuan (im heutigen Tunesien) zu Hilfe, der daraufhin mit seinem arabischen Heer 827 im Westen Siziliens an Land geht. In knapp 100 Jahren unterwerfen die Araber die gesamte Insel.
In den folgenden Jahrzehnten bauen sie die gebeutelte Insel wieder auf. Sizilien erhält in dieser Zeit wesentliche Züge seines heutigen Landschaftsbildes. Die Araber führen neue Pflanzen wie Dattelpalmen, Zuckerrohr, Reis und Zitronenbäume ein.
Ausgeklügelte Bewässerungsanlagen verbessern die Ernte um ein Vielfaches. Die Anlage von Salinen zur Salzgewinnung bringen der Insel einen ertragreichen Handel und Wohlstand.
Wegen eines moderaten Steuersystems und ihrer religiösen Toleranz sind die Araber auch bei der einfachen Bevölkerung beliebt. Palermo löst Syrakus als Hauptstadt ab und entwickelt sich zu einer der größten und modernsten Metropolen des Mittelmeerraums.
Weiterentwicklung unter Normannen und Staufern
Im Jahr 1061 sind die Araber auf Sizilien ähnlich zerstritten, wie schon die Byzantiner über 200 Jahre zuvor. Ein Teil der herrschenden Emire ruft die Normannen zu Hilfe, die schon seit geraumer Zeit über Süditalien herrschen. Die Geschichte wiederholt sich: Die Normannen fallen noch im gleichen Jahr unter Roger I. in Sizilien ein.
In nur 30 Jahren bringen die ursprünglich aus Frankreich stammenden Wikinger die Insel unter ihre Kontrolle und verhelfen ihr zu einer weiteren kulturellen Blüte. Verwaltung und Steuersystem werden von den Arabern übernommen, ebenso die Glaubensfreiheit und sprachliche Vielfalt. Sizilien bleibt unter den Normannen das wichtigste Bindeglied zwischen Orient und Okzident.
Doch nach nur gut 100 Jahren und vier Generationen ist die normannische Herrschaft beendet. Der letzte König Wilhelm II. bleibt kinderlos und der Thron fällt für kurze Zeit an die Staufer.
Friedrich II., eine der schillerndsten und mächtigsten Persönlichkeiten des Mittelalters, regiert zwar mehr als 50 Jahre mit harter Hand, entwickelt jedoch einen fast modern anmutenden Beamtenstaat, beschneidet die Rechte des Adels und der Kirche und treibt den Kulturaustausch zwischen der arabischen und christlichen Welt voran. Doch als Friedrich II. 1250 stirbt, ist auch das Ende der Staufer auf Sizilien besiegelt.
Fremdherrschaften mit fatalen Folgen
1266 wird Sizilien von Papst Clemens IV. dem französischen König Karl von Anjou, einem Erzfeind der Staufer, als Lehen angeboten. Es folgt eine kurze Zeit der brutalen Unterdrückung durch die Franzosen.
Doch die sizilianische Bevölkerung begehrt schnell auf. In der "Sizilianischen Vesper" werden 1282 die französischen Besatzer auf der gesamten Insel gnadenlos niedergemetzelt, Karl von Anjou kann gerade noch fliehen.
Danach sucht der Landadel einen starken Verbündeten und findet ihn 1302 im spanischen König Pedro von Aragón. Es beginnen vier Jahrhunderte spanischer Fremdherrschaft, in denen die Insel verkommt. Das spanische Königshaus kümmert sich kaum um seine Außenstelle.
Kleine Landadlige häufen riesige Ländereien an, herrschen wie Könige und führen ein Leben in verschwenderischem Luxus. Maßlose Steuern führen zu einer Verelendung der Bevölkerung und Hungersnöten.
Dazu kommen noch ein verheerender Ausbruch des Ätna 1669 und ein zerstörerisches Erdbeben 1693. Als die spanische Herrschaft wegen eines Erbfolgekrieges im Mutterland 1701 endet, ist Sizilien scheinbar am Ende.
Anschluss ans italienische Königreich
Den Spaniern folgen zunächst die Herzöge von Savoyen-Piemont (1713 bis 1720), dann die Habsburger (1720 bis 1734), später die spanischen Bourbonen (1734 bis 1860). Sie alle sind wenig beliebt bei der sizilianischen Bevölkerung.
1860 setzt der Freiheitskämpfer Guiseppe Garibaldi mit 1000 Mann nach Sizilien über. Er will den Anschluss der Insel an das italienische Königreich vorantreiben. Immer mehr Sizilianer schließen sich dem charismatischen Garibaldi an und vertreiben kurzerhand die Bourbonen von der Insel.
Ein Jahr später wird Sizilien in das gerade entstandene Königreich eingegliedert. Die euphorische Stimmung des Volkes wird jedoch schnell gedämpft. In den folgenden Jahrzehnten ändert sich nur wenig an den sozialen Verhältnissen. Eine riesige Auswanderungswelle nach Amerika ergreift die Insel und hält bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts an.
1922 übernimmt Benito Mussolini die Macht in Italien. Sizilien wird erneut zur Kornkammer Roms ernannt. Der Ausbau der Getreidefelder bringt jedoch nur den Großgrundbesitzern Vorteile, die einfache Bevölkerung ist arm wie eh und je.
1943 landen die Alliierten auf Sizilien, zahlreiche Städte werden durch Bomben zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält Sizilien 1946 den Status einer autonomen Region mit eigenem Parlament und weitgehenden regionalen Befugnissen.
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 22.06.2021)