Arbeitersiedlungen

Eisenheim – die erste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet

Jedes Jahr besuchen Tausende Touristen die Oberhausener Siedlung Eisenheim. Die erste Werkssiedlung des Reviers hat sich zu einer Art lebendigem Freilichtmuseum entwickelt. Was macht den Reiz dieses Viertels aus?

Von Christoph Teves

Bau der ersten Häuser

Bereits 1836, lange vor der großen Einwanderungswelle ins Ruhrgebiet, denkt Wilhelm Lueg über Fabrikhäuser nach. Der Chef der "Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel und Huyssen" (später: Gutehoffnungshütte) braucht für die Walzwerke seiner Firma qualifizierte Beschäftigte.

Doch für die gibt es im Raum des heutigen Oberhausen nur wenige Wohnungen. Deshalb kauft der Hüttendirektor acht Hektar sumpfiges Ackerland, auf dem er Häuser für seine Arbeiter bauen lassen will.

Die angrenzende Gemeinde Osterfeld ist von diesem Plan und der Aussicht, dass weitere Zuwanderer kommen, alles andere als begeistert. Sie fürchtet finanzielle Lasten, etwa wenn die Arbeiter krank werden oder ihre Stelle verlieren. Eine eher fadenscheinige Sorge, da Luegs Firma bereits eine Hilfskasse für Krankheitsfälle eingerichtet hat.

Irgendwann hat die Hütte genug von der Auseinandersetzung und baut 1846 die ersten Häuser. Der Bau wird im Nachhinein genehmigt. Die ersten Häuser sind für die Meister des Betriebs bestimmt. Somit ist die Siedlung nicht nur eine Maßnahme gegen die Wohnungsnot, sondern vor allem ein Mittel der Hütte, ihre qualifizierten Arbeiter an den eigenen Betrieb zu binden.

Die Siedlung wächst

In mehreren Bauabschnitten wird die neue Siedlung, die ab 1847 offiziell Eisenheim heißt, erweitert. Mitte der 1860er-Jahre siedeln sich zunächst weitere Arbeiter der Hüttenindustrie an, gegen Ende des Jahrhunderts kommen dann Bergleute, die in der benachbarten Zeche Osterfeld arbeiten. Bis 1901 wächst Eisenheim auf gut 50 Häuser mit je vier Wohnungen.

Dabei berücksichtigt man beim Bau der einzelnen Häuser und der Siedlung insgesamt, dass die Bewohner aus ländlichen Gegenden stammen: Die Backsteinhäuser sind höchstens zwei Stockwerke hoch. Viele sind in der typischen Kreuzform konstruiert: Vier Wohnungen unter einem Dach, jede mit eigenem Eingang. So entsteht für die Bewohner zumindest der Eindruck eines Einfamilienhauses.

Jede Familie hat hinter dem Haus einen Garten mit Stall, um Gemüse und Obst anzubauen und Vieh zu halten. Der dörfliche Charakter der Siedlung und die Entfernung zu den nächsten Ortschaften tragen dazu bei, dass sich ein reges Gemeinschaftsleben entwickelt und sich die Bewohner bald mit ihrer Siedlung identifizieren.

Bänke und Stühle vor den Häusern – vertrautes Bild in Eisenheim | Bildquelle: dpa/Caroline Seidel

Widerstand gegen den Abriss

Nach dem Zweiten Weltkrieg droht der Kolonie Eisenheim das komplette Aus. Der Besitzer – zunächst die Gutehoffnungshütte, dann die Hüttenwerke Oberhausen AG – kümmert sich kaum noch um die Instandhaltung der Siedlung. Zuerst werden 1948 die Häuser für die Meister abgerissen. Ihnen soll Ende der 1950er-Jahre die restliche Siedlung folgen.

Der Bergbau gerät in die Krise. Die großen Konzerne haben kein Interesse mehr, in den Bergbau zu investieren. Damit schwindet auch das Interesse an den Siedlungen. Zudem halten die Wohnungsgesellschaften der großen Konzerne Neubauten für lukrativer als den Erhalt bestehender Häuser.

Doch der geplante Abriss verzögert sich und steht erst Ende der 1960er-Jahre wieder auf der Tagesordnung. Eisenheim gehört inzwischen dem Thyssen-Konzern, und der plant, die Arbeitersiedlung abzureißen und dort Hochhäuser zu bauen. Doch die Eisenheimer wehren sich, zuerst noch recht unorganisiert durch Leserbriefe an Zeitungen und Unterschriftenaktionen.

1972 formiert sich dann eine Bürgerinitiative für den Erhalt der Siedlung. Durch phantasievolle Aktionen und eine gute Öffentlichkeitsarbeit gewinnen die Eisenheimer die Aufmerksamkeit von Presse, Radio und Fernsehen und machen ihr Anliegen bekannt. Ihr Hauptargument: die nachbarschaftlichen Beziehungen, die Kameradschaft und die Solidarität in ihrer Siedlung. Unterstützt wird die Initiative durch eine Studie der Fachhochschule Bielefeld, die den hohen sozialen Wert der Siedlung bestätigt.

Nach jahrelangem Protest lenkt Thyssen ein: Die 39 Siedlungshäuser bleiben erhalten und werden bis Anfang der 1980er-Jahre unter Beteiligung der Bewohner saniert. Der Erfolg der Eisenheimer Initiative ist in der Folgezeit ein Vorbild für viele andere Bürgerinitiativen im Ruhrgebiet, die ebenfalls gegen den Abriss ihrer Siedlungen kämpfen.

(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 04.06.2019)