Crashkurse und Welttanzprogramm
In den 1960er-Jahren gab es Tanz-Nachhilfe im Fernsehen, heute vermitteln viele Internetseiten die Basisschritte. Doch gekonnt oder nicht – getanzt wird auf jeden Fall, vor allem, wenn "stilvoll" gefeiert werden soll.
Bei Hochzeiten gilt nach wie vor der Wiener Walzer als klassischer Eröffnungstanz des Brautpaars. Tanzschulen bieten spezielle Crashkurse für Paare an, die im Vorfeld des großen Tages wenigstens die wichtigsten Tanzschritte beherrschen wollen.
Am weitesten verbreitet sind in Deutschland derzeit Discofox und Walzer, da mit diesen beiden Tanzschritten beinahe jeder Titel im Zweiviertel-, Vierviertel- sowie Dreivierteltakt betanzt werden kann.
Die Tanzschulen des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes unterrichten nach wie vor außer zahlreichen Modetänzen den Kanon der 16 Tänze, die – mit zwischenzeitlichen Aktualisierungen – seit 1961 als Welttanzprogramm festgelegt wurden. Für diese Tänze wurden die Schrittkombinationen festgeschrieben.
Das Programm umfasst die Standard-Tänze Langsamer Walzer, Wiener Walzer, Foxtrott, Tango und Blues sowie die lateinamerikanischen Tänze Rumba, Jive, Boogie-Woogie, Cha-Cha-Cha, Samba und Paso Doble. Hinzu kommen außerdem Discofox, Marschfoxtrott, Salsa, Merengue und Rock'n'Roll.
Im Gegensatz zum Medaillentanzen oder dem Turniersport gelten für den Praxistanz keine starren Vorschriften, was beispielsweise Tanzhaltung oder Tanzrichtung betrifft. Vermittelt werden lediglich Grundregeln, die dazu beitragen sollen, dass man andere Paare auf der Tanzfläche nicht behindert.
Streng nach höfischer Etikette
In früheren Jahrhunderten war das Tanzen deutlich stärker geregelt als heute. Der Gesellschaftstanz entstand an den europäischen Fürstenhöfen der Renaissance im 14. und 15. Jahrhundert.
Die einzelnen Tänze waren aus Volkstänzen entstanden, hatten fest vorgegebene Schrittkombinationen und waren Teil der höfischen Zeremonie. Wer mit wem tanzen durfte, war weniger eine Frage der Sympathie denn des gesellschaftlichen Standes.
Zu dieser Zeit waren vor allem Prozessions- und Kreistänze üblich. Paartänze kamen erst etwa im 16. Jahrhundert auf. Damals wurden die verschiedenen Varianten des Kontratanzes beliebt. Man tanzte in Gassen – die Herren standen links, die Damen rechts. Dabei wechselten die Paare nach einer vorgegebenen Reihenfolge die Plätze.
Hatte so das gesellschaftlich am höchsten stehende Paar ursprünglich den ersten Platz in der Gasse eingenommen, gelangte es im Lauf des Tanzes immer weiter nach hinten, das rangniedrigste Paar dagegen immer weiter nach vorn. Getanzt wurde, bis schließlich die ursprüngliche Ordnung wieder hergestellt war.
Das Menuett als höfisches Liebesspiel
Eine führende Rolle in der Weiterentwicklung der höfischen Tänze nahm während der Barockzeit vor allem König Ludwig XIV. in Frankreich ein. Er war selbst ein sehr guter Tänzer und ließ in Versailles ausgedehnte Bälle abhalten.
Zusammen mit seiner Mätresse soll er im Jahr 1653 das erste Menuett getanzt haben. Dieser Tanz im Dreivierteltakt lässt in gewissem Maß auch individuelle Variationen zu. Getanzt wurde paarweise – allerdings keineswegs in einer Tanzhaltung, wie sie heute etwa beim Wiener Walzer üblich ist.
Man berührte sich über weite Strecken gar nicht oder wenn, dann nur an der Hand. Das Menuett war somit Ausdruck des höfischen Liebesspiels, eines steten Wechsels von Nähe und Distanz. Schulter oder gar Taille der Tanzpartnerin anzufassen, hätte als äußerst unschicklich gegolten.
Bälle für Bürgerliche
Das Menuett wurde rasch auch über Frankreich hinaus beliebt. Noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war es weit verbreitet. Zu dieser Zeit war der Gesellschaftstanz allerdings längst keine exklusive Angelegenheit für die Angehörigen der Fürsten- und Königshöfe mehr.
Schon Anfang des 18. Jahrhunderts gab es beispielsweise in Frankreich Bälle für die bürgerlichen Schichten. Dort wurden dann für einen Abend ein Ballkönig und eine Ballkönigin gewählt. Sie bildeten – ähnlich wie das echte Königspaar am Hof – das Zentrum des jeweiligen Balls. Die anderen Tänzer konnten jedoch ihre Tanzpartner frei wählen.
Je mehr die bürgerlichen Schichten das Tanzparkett eroberten, desto stärker hielten volkstümliche Schrittkombinationen Einzug. So entstand beispielsweise bereits im Vorfeld der Französischen Revolution (1789) der Walzer. Zunächst galt er als anrüchig, weil er Körperkontakt zuließ und bei den schnellen Drehungen die Fußknöchel der Damen sichtbar wurden.
Gesellschaftlich akzeptiert ist der schnell getanzte Walzer seit den Bällen im Rahmen des Wiener Kongresses 1814/15, weshalb er noch heute als Wiener Walzer bezeichnet wird.
Andere im 19. Jahrhundert beliebte Tänze wie zum Beispiel die Polka oder der Rheinländer konnten sich nicht so lange halten. Insgesamt dominierten seit dem Walzer die individuellen Paartänze. In den 1920er-Jahren bemühten sich englische Tanzlehrer um eine Vereinheitlichung der wichtigsten Tanzschritte. Aus diesem Kanon ging später das Welttanzprogramm hervor.
Tanzen hält geistig und körperlich fit
Außer dem reinen Spaßfaktor des Tanzens und seiner gesellschaftlichen Funktion rückt inzwischen auch der gesundheitliche Effekt stärker ins Blickfeld.
So zeigten Forscher der Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2009 in einer Studie, dass die koordinierten Bewegungen beim Tanzen nicht nur den Alterungsprozess verlangsamen können, sondern dass das Tanzen dazu beiträgt, bereits bestehende Defizite in der Gehirnleistung wieder ausgleichen zu können.
Senioren, die sich zuvor nur wenig bewegt und dann an einem von den Forschern veranstalteten sechsmonatigen Tanzkurs teilgenommen hatten, konnten dadurch ihre Reaktionsgeschwindigkeit sowie ihre Stand- und Gehsicherheit messbar steigern. Auch Koordinationsfähigkeit und Gedächtnisleistung nahmen im Lauf des Tanzkurses zu.
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 16.07.2020)