Träume

Traumforschung

Träume erscheinen uns flüchtig, realitätsfern und manchmal ängstigen sie uns. Dabei sind unsere nächtlichen Eingebungen ein ungenutztes Potenzial.

Von Katrin Ewert

Dem Traum auf der Spur

Psychologen und Neurowissenschaftler zeigen: Jeder kann lernen, sich lebhaft an seine Träume zu erinnern, sie sich zunutze zu machen – und sogar zu steuern.

Wenn wir nachts in die Traumwelt abtauchen, passieren oft merkwürdige Dinge: Das Gehirn vertauscht Personen und Orte, nimmt uns mit auf eine Zeitreise oder lässt Albtraumszenarien entstehen.

Naturgesetze und Logik gelten hier nicht mehr. Erwachen wir, bleibt uns meist nur die trübe, subjektive Erinnerung. Wissenschaftler würden diese Phänome gerne beobachten. Wie aber sollen sie etwas messen, das nur im Kopf passiert?

Mit modernen Methoden der Hirnforschung ist es ihnen gelungen, sich unseren Träumen zu nähern: Vor allem in den vergangenen Jahren haben Psychologen und Neurologen Hunderte Probanden ins Schlaflabor gebeten. Sie haben die Träumenden mit Elektroden verkabelt, ihre Hirnwellen aufgezeichnet; sie mitten in der Nacht geweckt, um sie nach ihren Erlebnissen zu befragen.

Ein Hirnscan zeigt die Areale, die während des Traums aktiv sind | Bildquelle: dpa Picture Alliance/Rainer Jensen

Schlafen und Träumen für die Forschung

Einige der Versuchspersonen schliefen gar im Kernspintomografen ein. Mit diesem elektronischen Traumfänger scannten die Forscher die Hirne der Probanden. Die Scans zeigen, welche Areale während des Schlafs aktiv sind und welche nicht.

"Wir wissen seitdem, dass im Traum vor allem die Bereiche aktiv sind, die für emotionales Empfinden, visuelle Wahrnehmung und Motorik zuständig sind", sagt der Neurowissenschaftler Martin Dresler, der am Donders Institute in den Niederlanden und am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München forscht.

In den Hirnarealen für höhere Denkleistungen wie Aufmerksamkeit, Verständnis und Orientierung spielt sich nur wenig ab. Unsere Träume werden also von reinen Emotionen gelenkt. Und die Scans verraten noch mehr.

In Japan ist es Wissenschaftlern am Zentrum für Neuroinformatik der Universität Kyoto mithilfe der Hirnscans gelungen, ganze Traumszenen aus den Köpfen der Schlafenden auszulesen. Nachdem die Probanden aufgewacht sind, berichteten sie von ihren Erlebnissen – in mehr als der Hälfte der Fälle stimmten die konstruierten Sequenzen damit überein (hier geht's zum Clip auf Youtube).

Dieses Bild erstellten Forscher aus den Hirnscans ihrer schlafenden Probanden | Bildquelle: ATR-DNI/Department of Neuroinformatics, Kyoto University

Eine Bibliothek voller Träume

Neben der modernen Hirnforschung sammeln Forscher auf der ganzen Welt Traumberichte, um damit systematisch riesige Datenbanken zu füllen. Inzwischen lassen sich Zehntausende von Protokollen untersuchen und miteinander vergleichen. Die Idee: Wer sich nur einen einzelnen Bericht anschaut, kann schließlich nur Aussagen über den Einzelfall treffen.

Erst die Analyse einer Vielzahl von Fällen ermöglicht allgemeine Aussagen. Vor allem darüber, wie sich die Erfahrungen an einem Tag, die Lebensumstände sowie die Persönlichkeit im Traum widerspiegeln – vorausgesetzt, den Befragten fallen ihre Träume noch ein.

Anleitung: So erinnern Sie sich an Ihre Träume!

  1. Dream Sense Memory: "Direkt nach dem Aufwachen sollten Sie im Bett dem Traum noch einmal nachgehen", sagt die Psychologin Brigitte Holzinger vom Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien. Dabei kommt es nicht nur auf die Bilder, sondern auf alle Sinne an. Was haben Sie im Traum gerochen, was gehört? Wie haben Sie sich im Traum gefühlt?
  2. Traumtagebuch: "Ein Traumtagebuch hilft dabei, die flüchtigen Erinnerungen festzuhalten", sagt Holzinger. Ihr Tipp: Am besten einen Stift und Notizblock auf den Nachttisch legen.
  3. Training: Wer diese Tricks einige Wochen anwendet, kann so schon bald einen Traum pro Nacht festhalten. Je mehr Sie das üben, desto detaillierter und lebhafter erinnern Sie sich. "Wichtig ist es, mit Gelassenheit und ohne Zwang zu trainieren", sagt Holzinger. Sich an alle Träume aus einer Nacht zu erinnern – das schafft kaum jemand.

"Vermutlich träumt aber jeder, die ganze Nacht durch", sagt Martin Dresler. Intensiv und emotional träumen wir vor allem in der Schlafphase, in der wir schnell mit den Augen rollen: in der Rapid-Eye-Movement-Phase (Rem-Phase).

An die Träume aus diesem Abschnitt können wir uns besonders gut erinnern. Ins Langzeitgedächtnis wandern die Erlebnisse aber nur selten, weil das Gehirn durch die chemische Zusammensetzung im Schlaf nicht aufnahmefähig genug ist. Oft meinen wir gar, tagelang nicht zu träumen.

Die Wahrheit ist: Wir können uns bloß nicht daran erinnern.

Ein Traumtagebuch hilft dabei, sich intensiver zu erinnern | Bildquelle: mauritius images

Warum im Schlaf Bilder entstehen

Ein Rätsel jedoch steht weiterhin im Mittelpunkt der Schlafforscher: Warum träumen wir überhaupt? Eine konkrete Antwort darauf fehlt bislang. Ob das Hirn im Traum die Erlebnisse des Tages abspeichert, Gefühle verarbeitet oder der Traum einfach nur ein Zufallsprodukt des Schlafs ist, können Wissenschaftler noch nicht sagen. "Höchstwahrscheinlich ist es eine Mischung aus den verschiedenen Theorien", sagt Martin Dresler. 

Ein neuer Ansatz kommt aus Finnland: Wir träumen, um gefährliche oder risikoreiche Situationen zu simulieren, so der Traumforscher Antti Revonsuo. "Threat Simulation Theory" nennt er das.

"Im Traum können wir Verhaltensweisen ausprobieren und erlernen, die uns in der Zukunft helfen", sagt Dresler. Evolutionsbiologisch ergibt das Sinn: Wer bereits im Schlaf einen Säbelzahntiger besiegt, ist auch im wahren Leben besser gegen Fressfeinde gewappnet.

"Heute helfen uns Träume dabei, mit Ängsten besser umzugehen, uns auf Klausuren oder Herausforderungen im Job vorzubereiten", sagt Psychologin Holzinger.

Im Traum bereiten wir uns auf schwierige Situationen in der Zukunft vor | Bildquelle: Imago/Enters

Träume – das sind Gefühle in bewegten Bildern

Was bedeutet ein Traum? Um diese Frage zu beantworten, suchen Menschen seit jeher nach Traumdeutungen. Mehrbändige Traumlexika mit Symbolen und Zeichen entstanden. Später verkündete Sigmund Freud, dass ein Traum Ausdruck unbewusster Wünsche und eine verschlüsselte Botschaft des Unterbewusstseins sei. "Von diesen Theorien ist man etwas abgerückt", sagt Martin Dresler.

Psychologen vermuten eher, dass wir über die Gefühle einen Zugang zu unserem Traum bekommen. "Träume sind Gefühle in bewegten Bildern dargestellt", sagt Brigitte Holzinger. "Wer diese Gefühle erkennt, kann etwas über sich lernen".

Zum Beispiel über Stärken und Schwächen, über die eigene Persönlichkeit und Dinge, die gerade Sorgen oder Ängste verursachen. Träume spiegeln Erfahrungen aus dem Alltag wider, in dem wir zu sehr mit Eindrücken von Außen beschäftigt sind. Im Traum aber erleben wir, was uns wirklich bewegt. Wiederkehrende Grundmuster verraten, was den Träumenden beschäftigt.

Muster des Träumens

Der Mannheimer Traumforscher Michael Schredl unterscheidet diese sieben Grundmuster und schlägt Bedeutungen vor.

  • Verfolgung: Ich habe Angst vor etwas, das ich vermeiden möchte und mit dem ich mich nicht auseinandersetzen will.
  • Fallen: Ich habe Angst, alles zu verlieren.
  • Prüfung: Ich fühle mich nicht gut genug auf eine Situation vorbereitet.
  • Klo suchen: Ich habe ein dringendes Bedürfnis, dessen Befriedigung durch die Umstände erschwert wird.
  • Nacktsein: Ich fühle mich in der Situation inadäquat.
  • Zuspätkommen: Ich habe Angst, nicht alles zu schaffen.
  • Tod nahe stehender Personen: Ich habe Angst, ohne eine bestimmte Person in meinem Leben nicht zurecht zu kommen.

Wer eines dieser Muster erkennt, kann einen Trick anwenden: Was würde ich konkret machen, wenn mir diese Situation im wahren Leben passiert? Wie kann ich das Problem lösen? Wen kann ich mir zu Hilfe holen? "So wird der Träumende gestärkt und die Angst nimmt ab", sagt Brigitte Holzinger.

Auch Alpträume können mit dieser Methode behandelt werden: In der "Imagery Rehearsal Therapie" schreiben die Patienten ihren Traum um. "Sie erfinden ein Happy End für die vermeintlich aussichtlosen Szenen", erklärt Holzinger.

"Allgemeine Traumdeutungen gibt es aber nicht", betont die Psychologin, "Träume sind etwas sehr Individuelles und abhängig von der Lebenssituation und Erfahrung". Aber: Es lohne sich immer hinzuschauen.

Checkliste: So verstehen Sie Ihren Traum!

  • Versuchen Sie, die Vernunft und Logik auszublenden.
  • Welches Gefühl kennzeichnet den Traum?
  • Welche Erinnerungen und Gefühle aus dem wahren Leben sind mit dem Traumelement verbunden? Gibt es wiederkehrende Muster? Wie entwickeln sich diese?
  • Lassen Sie sich nicht von einzelnen Episoden irreführen: Erst eine Vielzahl von ähnlichen Träumen ist aussagekräftig.
  • Nehmen Sie sich Zeit: Träume haben eine Bedeutung, aber wir erkennen diese nur in der Gesamtschau – und mit etwas Geduld.

Die Kunst des Klartraums

Trotz moderner Messmethoden und Datenbanken bleiben noch viele Fragen in der Traumforschung ungeklärt. Zu subjektiv sind die nächtlichen Eingebungen, die nicht nur dem Forscher, sondern häufig auch dem Träumenden verschlossen bleiben.

Jedoch gibt es eine Gruppe von Menschen, die den Wissenschaftlern helfen, Träume besser zu verstehen: Klarträumer. "Sie sind sich während des Schlafens darüber bewusst, dass sie träumen", sagt Holzinger. "Sie können in ihrem Traum Entscheidungen treffen und ihn frei gestalten." Das Phänomen des Klartraums oder luziden Traums ist nicht selten: Nach einer Studie vom Mannheimer Traumforscher Schredl hatte fast jeder Zweite bereits einmal im Leben ein solches Erlebnis.

"Luzide Träumer liefern uns hochspannende Ergebnisse, die noch dazu vergleichbar sind", sagt Neurowissenschaftler Dresler. In einer seiner Studien sollte eine Gruppe von Klarträumern im Traum die linke Hand zu einer Faust ballen. Start und Stopp signalisierten die schlafenden Probanden, indem sie ihre Augen nach links und rechts drehten. Und tatsächlich: Im Hirnscan konnte Dresler sehen, dass seine Testpersonen dieselben Hirnregionen beanspruchten wie beim tatsächlichen Ballen der Faust.

Für die Forscher sind vor allem die luziden Träumer spannend | Bildquelle: ddp images/Natalie Nollert

Menschen können lernen, sich ihre Träume zunutze zu machen

Nun versuchen die Forscher, Patienten mit der Technik des Klartraums zu helfen. "Menschen mit Alpträumen können luzides Träumen erlernen, um die bedrohlichen Szenen in harmlose umzuwandeln", sagt Dresler. Schizophrene könnten in leichten Phasen ihrer Krankheit das Klarträumen lernen, um in akuten Phasen besser zwischen der Realem und Irrealem zu unterscheiden.

Auch Leistungssportler sind auf den Klartraum aufmerksam geworden. Sie nutzen diesen, um im Schlaf riskante Sprünge und neue Techniken einzustudieren. Der Sportpsychologe Daniel Erlacher hat in Versuchen an der Universität Heidelberg gezeigt, wie die nächtlichen Turnübungen sowohl Koordination als auch Kondition verbessern.

Übten seine Probanden einen Münzwurf im Schlaf, hatten sie im Wachzustand eine bessere Trefferquote. Forderte er die luziden Träumer auf, Kniebeugen auszuführen, beschleunigten sich Herzschlag und Atem wie bei der tatsächlichen Anstrengung.

Klarträumen mit Wechselstrom

Kürzlich fanden Schlafforscher ein weiteres Details über luzide Träumer heraus: Beim Klartraum ist das Stirnhirn, der präfrontale Kortex, deutlich aktiver ist als im gewöhnlichen Schlaf. Diese Region ist zuständig für die kritische Bewertung und Reflexion. Sie schwingt in einer Frequenz, die für den Wachzustand typisch ist: 40 Hertz.

Der Frankfurter Psychologin Ursula Voss gelang es daraufhin, bei ihren Testpersonen gezielt einen luziden Traum auszulösen. Sobald die Probanden in den Rem-Schlaf gesunken waren, schickte sie schwachen Wechselstrom von genau 40 Schwingungen pro Sekunde durch die Elektroden an Stirn und Hinterkopf. Fast zwei Drittel der Untersuchten berichteten beim Aufwachen von einem Klartraum. Träume auf Bestellung? Technisch ist das zumindest denkbar.

Anleitung: So werden Sie zum luziden Träumer!

  1. Traumtagebuch: "Ein Tagebuch kann helfen, wiederkehrende Traumthemen zu erkennen", sagt der Neurowissenschaftler Martin Dresler. Wer etwa häufig von seiner Grundschule träumt, solle sich das Motiv tagsüber immer wieder ins Gedächtnis rufen und den Satz sagen: "Ich träume jetzt." So erkenne der Schlafende die Schule das nächste Mal als Traum.
  2. Reality Check: Träume ich gerade oder bin ich wach? "Wer sich diese Frage tagsüber immer wieder stellt, dem fällt sie auch im Schlaf ein", sagt Dresler. Weitere Realitätschecks: Nase zuhalten (im Traum atmet man weiter), hochspringen (im Traum fällt man nicht hin) und einen Text lesen (im Traum ändern sich die Buchstaben beim erneuten Hinschauen).
  3. Wake-Back-To-Bed (WBTB): "Der Rem-Schlaf ist die Phase mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für einen Klartraum", sagt Dresler. Daher sei es sinnvoll, sich nach etwa fünf Stunden Schlaf in den frühen Morgenstunden einen Wecker zu stellen, sich eine halbe Stunde wachzuhalten um anschließend direkt in den Rem-Schlaf zu sinken.

(Erstveröffentlichung: 2016. Letzte Aktualisierung: 19.07.2019)