Forschung zum Thema Amoklauf
Insbesondere bei jungen Amoktätern fallen Gemeinsamkeiten auf. Das hat die Amokforscherin Professor Britta Bannenberg in einer bislang in Deutschland beispiellosen Forschungsarbeit herausgefunden.
Für das Verbundprojekt TARGET (Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, analysierte sie sämtliche Amoktaten junger Täter zwischen 1992 und 2013. Das waren 19 Taten von 20 Tätern.
Zu ihnen gehören die bekannten Amokläufe von Erfurt, Emsdetten und Winnenden, aber auch solche, über die kaum berichtet wurde, weil sie weniger Tote zur Folge hatten.
Bannenberg analysierte die Fälle umfassend. Sie studierte nicht nur die Strafakten und Selbstzeugnisse der Täter. Sie interviewte Amoktäter, Opfer und Menschen aus dem sozialen Umfeld um den Amoklauf.
So liegt zum ersten Mal eine wissenschaftliche Erhebung vor, die für den weiteren Umgang mit Amoktaten von großer Bedeutung ist.
Amoktäter sind keine Mobbing-Opfer
Anders als oft vermutet, waren die untersuchten Amoktäter keine Mobbing-Opfer. Sie stammten aus unauffälligen Mittelschichtfamilien, die finanziell gut gestellt waren. "Es gab keine 'broken-home'-Verhältnisse mit Gewalt und sozialer Verwahrlosung", schreibt Bannenberg in ihrem Bericht.
Die Geschwister hätten die Amoktäter als "schwer zugänglich und verschlossen" beschrieben, als "in der Schule überfordert, ohne Freunde und Freundin, computerbesessen, aber auch als einsam und bedürftig".
Die Amokläufer hatten kein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Eltern, die Familien lebten bei äußerlich intakter Fassade nebeneinander her.
Amoktäter sind überwiegend männliche Einzelgänger, die nicht gelernt haben, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen, resümiert Bannenberg.
Amoktäter sind extrem kränkbar
Die Psyche der jungen Amoktäter zeigt ein gemeinsames Muster: eine sogenannte narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsstörung.
Die narzisstische Störung ist durch Selbstbezogenheit, Geltungsbedürfnis und fehlendes Einfühlungsvermögen gekennzeichnet und ist Ausdruck mangelnden Selbstwertgefühls.
Die paranoide Störung äußert sich durch Misstrauen, extreme Empfindlichkeit gegenüber Kritik und die Neigung, die Welt als feindselig und gegen sich gerichtet zu empfinden.
Amoktäter entwickeln "ein Motivbündel von Wut, Hass und Rachegedanken", erklärt Amokforscherin Bannenberg. "Sie fühlen sich oft gedemütigt und schlecht behandelt, ohne dass die Umwelt dieses nachvollziehen kann."
Nach dem Motto "Alle sind schuld, dass es mir so schlecht geht" entwickeln sie generalisierte Rachegedanken. Das Umfeld merkt davon aber wenig, denn sie verhalten sich unauffällig. Sie pöbeln nicht herum und prügeln sich nicht, sondern sie stauen ihre gesamte Aggression für den großen Tag X auf.
Killerspiele sind Verstärker, aber nicht Ursache für Amoktaten
Statt sich um soziale Kontakte zu bemühen, ziehen Amoktäter sich immer mehr zurück und suchen im Internet nach Vorbildern und Ventilen für ihre Wut. Dort finden sie zum Beispiel Berichte des Amoklaufs an der US-amerikanischen Columbine High School (20. April 1999), der bis heute als Vorbild dient.
Zuvor gibt es meist eine lange Phase, die von Tötungsphantasien und dem Ausmalen der "grandiosen" Mordtat gekennzeichnet ist.
Der wiederkehrende Frust über das reale Leben, in dem sie sich von der Schule und den sozialen Anforderungen überfordert fühlen, entlädt sich in der immer konkreter werdenden Vorstellung der Rachetat, bei der möglichst viele Menschen für das eigene Leid büßen sollen.
PC-Killerspiele und Gewaltvideos wirken dabei als Inspiration und als Verstärker, sind aber nicht die Ursache für den Amoklauf, betont Amokforscherin Bannenberg.
Die Besessenheit von den Themen Amok und Tod "wird durch den gewählten Konsum gewalthaltiger Medien bestärkt". Und sie trage zu der Überzeugung bei, "zum Mehrfachmord berechtigt zu sein".
Suizid als Höhepunkt der Selbstinszenierung
Jede Amoktat wird irgendwo angekündigt, fand die Justizprofessorin heraus – entweder in Internetforen oder gegenüber Freunden, die das allerdings meist nicht ernst nehmen.
Ziel einer Amoktat ist es, möglichst viele Menschen zu töten und ein möglichst großes Medienecho zu erzielen, um sich nachhaltig ins Gedächtnis einzuprägen. Der Amoklauf ist eine Demonstration von Macht und Hass auf die Gesellschaft.
Der Suizid, der meist am Ende der Tat steht, ist dabei nicht Ausdruck von Depression, sondern der Höhepunkt der Selbstinszenierung. Auch der Nachahmer-Effekt spielt bei jungen Tätern eine Rolle – sie vollziehen die Tat in etwa so, wie es ihre Vorbilder aus vergangenen Amoktaten gemacht haben und erschießen sich selbst.
Erwachsene Amoktäter haben unterschiedliche Motive
Erwachsene Amokläufer sind ebenfalls Einzelgänger und fast immer Männer. Ihre Motive sind aber vielfältiger als die junger Amoktäter.
Prof. Bannenberg hat 39 Fälle mit 40 Tätern im Zeitraum von 1913 bis 2015 untersucht. Bei einem Drittel der Fälle fand sie eine paranoide Persönlichkeitsstörung.
Ebenso häufig hatten die Täter eine krankhafte Psychose, vor allem die Form der paranoiden Schizophrenie. Außerdem gab es psychopathische Persönlichkeiten mit sadistischen Anteilen.
Anders als junge Täter fallen Erwachsene oft schon im Vorfeld auf: Sie schimpfen und klagen an. Oft sind es Menschen, die in Beruf und Beziehung gescheitert sind. Alkohol und Drogenkonsum spielen eine Rolle. Ähnlich wie bei jungen Amokläufern treiben sie Hass und Groll zur Tat – auch sie wollen Rache üben.