Was sind Konflikte?
Das Wort Konflikt entstammt der lateinischen Sprache und bedeutet "Zusammenstoß, Widerstreit". Konflikte sind so alt wie die Menschheit. Und es gibt sie auf allen Ebenen des Zusammenlebens. Die Milliarden Menschen auf dieser Erde haben alle unterschiedliche Wünsche, Meinungen und Interessen. Wenn verschiedene Vorstellungen aufeinander treffen und es unmöglich scheint, beide gleichzeitig zu verwirklichen, entsteht ein Konflikt.
Der Forscher Johan Galtung erklärt Konflikte so: "Wir definieren Konflikt als eine Eigenschaft eines Systems, in dem es miteinander unvereinbare Zielvorstellungen gibt, so dass das Erreichen des einen Ziels das Erreichen des anderen ausschließen würde." Dennoch gibt es oft erstaunliche Lösungen, denn die Fähigkeit Probleme zu überwinden, ist eine kreative menschliche Eigenschaft. Erst wenn Gewalt ins Spiel kommt, wird ein Konflikt zu einer Bedrohung.
Zum Streiten gehören immer zwei
"Hanna hat mir den Apfel weggenommen", beschwert sich Hans bei seiner Mutter. Die aber weiß, dass dieser Streit bestimmt eine Vorgeschichte hat. Mindestens zwei Parteien sind an einem Konflikt beteiligt, obwohl jede Seite gern der anderen die alleinige Schuld zuschiebt: Natürlich ist immer der andere der Böse. Den eigenen Anteil an dem Streitgeschehen zu erkennen, ist ein sehr schwieriger Schritt, ohne den es aber oft keine Lösung gibt.
Manchmal sind außerdem noch mehr versteckte Parteien an einem Konflikt beteiligt. Wenn zum Beispiel Lehrer und Schüler aneinander geraten, können die Eltern und die Gesellschaft mit ihren Erziehungswünschen eine unsichtbare Rolle bei dem Streit spielen.
Konflikte können sich auch innerhalb einer einzigen Person abspielen, die gleichzeitig mehrere Wünsche hat. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz beobachtete sogenannte Übersprungshandlungen wie Gefiederputzen bei Graugänsen, wenn zwei gegensätzliche Impulse (Flucht und Angriff) aufeinander trafen. Auch Menschen können mit solch sinnlos scheinenden Handlungen auf innere Konflikte reagieren.
Der Zankapfel löste den Trojanischen Krieg aus
Konflikte haben meist einen Gegenstand, über den dann gestritten wird. In der Geschichte der Menschen gibt es einige immer wiederkehrende Streitobjekte. Zum Beispiel eine schöne Frau, Geld, die einzige Wasserstelle in der Wüste, die beste Lebensführung, der richtige Glaube.
Von einem berühmter Streit erzählt die griechische Mythologie: Eris, die Göttin der Zwietracht, warf einen goldenen Apfel mit der Aufschrift "Der Schönsten" unter die Göttinnen. Paris entschied den Streit um die Schönheit zugunsten der Liebesgöttin Aphrodite, denn diese hatte ihn bestochen. Sie versprach ihm die schöne Helena.
Paris entführte daraufhin Helena aus Troja und die enttäuschten Rivalinnen Hera und Athene beschlossen Troja zu vernichten. So entbrannte der jahrelange Trojanische Krieg. Der goldene Apfel der Eris ging als "Zankapfel" in die Geschichte ein.
Konfliktursachen können weitreichend sein
Wichtiger noch als der Konfliktgegenstand sind seine eigentlichen Ursachen. Wie bei einem Eisberg sind diese Ursachen oft sehr weitreichend und liegen unter der Oberfläche verborgen. Sie können in der Vergangenheit liegen oder die Wirkung von Ereignissen sein, die auf den ersten Blick mit der aktuellen Situation gar nichts zu tun haben. Sie hängen zusammen mit den Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten der beteiligten Menschen.
So hat Hanna vielleicht ihrem Bruder den Apfel weggenommen, weil dieser am Tag zuvor von ihrem Opa, der Hans immer bevorzugt, einen Ball geschenkt bekommen hatte. Er war daraufhin eingebildet an seiner Schwester vorbeistolziert und hat sie nicht mitspielen lassen.
Im Fall des Paris-Urteils ist der Neid und die Eitelkeit der Frauen und die sexuelle Besitzgier des Mannes die Ursache für den Krieg. Die Wurzeln eines Konfliktes können also manchmal tief in die menschliche Psyche hineinreichen.
Konflikte sind Kreativität
Die Friedensforscherin Ulrike C. Wasmuth weist darauf hin, dass der Konflikt und die Austragungsform nicht verwechselt werden dürfen. Egal wie hoffnungslos die Situation erscheinen mag, entscheidend ist, wie sich die beteiligten Menschen verhalten. Hans hätte auch seine körperliche Überlegenheit ausnutzen können, um den Apfel mit Gewalt zurückzuholen. Stattdessen wendet er sich an seine Mutter als Vermittlerin. Der Weg für eine gewaltfreie Lösung ohne Verlierer bleibt offen.
Der Konfliktforscher Johan Galtung ließ einmal eine Übung mit einer Orange und zwei Kindern durchführen. Es fanden sich viele kreative Lösungen: die Orange wurde geschält und ihre Stücke geteilt, sie wurde ausgepresst, ein Orangenkuchen gebacken, eine Lotterie veranstaltet und der Erlös geteilt, eine weitere Orange gekauft oder als weitreichendste Lösung die Kerne der Orange eingepflanzt und eine Orangenplantage angelegt.
Galtungs Grundthese lautet: Je mehr Lösungsvorschläge, desto unwahrscheinlicher die Gewalt. Am wichtigsten ist immer der Wunsch aller Beteiligten, eine Lösung zu finden, die über die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse hinausgeht.
Die Eskalation: er oder ich
Leider werden Konflikte oft als Bedrohung erlebt und wir reagieren mit Abwehr, Kampf oder Flucht. Instinktiv wird der eigene Vorteil gesichert, die Ohren werden taub für die Wünsche des anderen, die Augen verschließen sich vor den eigenen Fehlern. Angst herrscht vor und das Gefühl, dass nur noch die Niederlage des Gegners die eigene Situation retten kann. Mitgefühl und Verständnis sind verschwunden und der Gegenüber nicht mehr als gleichberechtigter Mensch wahrgenommen.
Wenn der Konflikt sich soweit zugespitzt hat und es keine rettenden Versöhnungsanlässe, wie etwa regelmäßige Konferenzen gibt, ist die Eskalation fast unvermeidbar. Eskalation kann bis zur Vernichtung des Gegners führen. Manchmal jedoch wird erst durch eine solche Explosion ein Konflikt sichtbar, der lange Zeit unterdrückt wurde.
(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 10.07.2019)