Das Aquarell "Steinkohlewald" von Johann Brandstetter zeigt eine Landschaft mit Vegetation des Karbon-Zeitalters vor rund 300 Millionen Jahren

Urzeit

Deutschland in der Urzeit

Deutschland hat eine "bewegte" Vergangenheit – zumindest wenn man es in geologischen Zeitskalen von Jahrmillionen betrachtet. Als ein Stück Erdkruste auf Wanderschaft zog es rastlos über den Globus, weilte lange in Äquatornähe und veränderte dabei laufend sein Aussehen.

Von Dieter Engelmann

Bevor Deutschland entstand

Den meisten Deutschen sind die Landschaften zwischen Nordsee und Alpen eine selbstverständliche Heimat. Abgesehen von den Spuren der Besiedelung und Kultivierung erscheinen die Naturräume aus menschlicher Sicht unveränderlich. 

Das Stück der Welt, auf dem heute Deutschland liegt, erschien erst vor rund 300 Millionen Jahren auf der Bildfläche – da war die Erde bereits stolze 4,2 Milliarden Jahre alt. Längst schon hatte sie sich von ihren Anfängen als heißer Glutball bei der Entstehung unseres Sonnensystems zu einem festen Planeten mit Schalenbau abgekühlt.

Kontinente hatten sich gebildet, die sich in einem beständigen Kreislauf aufeinander zu und wieder auseinander bewegten. Mindestens einmal hatten sie sich bereits in einem Superkontinent vereinigt.

Das Leben hatte längst schon begonnen, wobei es lange Zeit nur in Form einzelliger Bakterien existierte. Immerhin entwickelten diese die Photosynthese und reicherten so die Uratmosphäre mit Sauerstoff an.

Doch vor rund 540 Millionen Jahren kam es zu einer regelrechten Explosion der Lebensformen. Innerhalb weniger Jahrmillionen entstand eine erstaunliche Bandbreite an Lebewesen, die schließlich auch begannen, das Festland zu erobern.

Deutschland erscheint auf der Weltkarte

In den Gesteinen des Rheinischen Schiefergebirges finden sich noch heute zahlreiche Fossilien ehemaliger Meeresbewohner, die einst im Erdzeitalter des Devons, vor rund 380 Millionen Jahren, lebten. Sie zeugen von der Vergangenheit und der Entstehung Deutschlands, die eng mit der erneuten Bildung eines Superkontinents verbunden ist.

Vor rund 350 Millionen Jahren war ein Großteil der Landmassen in zwei Kontinenten vereint: einem Nordkontinent (Laurussia) und einem Südkontinent (Gondwana). Beide Kontinente begannen damals aufeinander zuzuwandern und sich zum Superkontinent Pangäa zu vereinigen.

Der Ozean zwischen den beiden Landmassen begann sich dadurch zu schließen, und die Ablagerungen am Meeresgrund (und mit ihnen die Fossilien) wurden zusammengeschoben und aufgefaltet. Ein neues Gebirge entstand, das variszische Gebirge, das sich schließlich über den Meeresspiegel erhob und Ausmaße erreichte, die dem Himalaja heute vergleichbar sind.

Die dadurch neu entstandene Landmasse wurde zur Basis für Mitteleuropa und damit auch für Deutschland – allerdings lag Deutschland damals noch am Äquator. Auch die meisten der zahlreichen Erzlagerstätten, die in Deutschland vor allem ab dem Mittelalter bis ins vergangene Jahrhundert hinein abgebaut wurden, sind eine Folge der variszischen Gebirgsbildung.

Abdruck eines Fisches

Fossiler Meeresbewohner im Schiefergestein

Die ersten deutschen Wälder

Durch die allmähliche Anhebung des Meeresbodens entstanden im Erdzeitalter des Karbons die ersten Stückchen des späteren Deutschlands. Es waren weite, sumpfige Flächen, in denen sich Landpflanzen wie Baumfarne, Bärlappgewächse und Schachtelhalme in Form von riesigen Sumpfwäldern auszubreiten begannen.

Die Pflanzen erreichten Stammdurchmesser von bis zu zwei Metern und wuchsen teilweise bis zu 40 Meter in die Höhe. Zwischen ihnen lebten urtümliche Amphibien, aber auch zahlreiche Insekten. Besonders erstaunlich sind Fossilien von riesigen Libellen mit Flügelspannweiten von einem halben Meter und mehr.

Aus dem abgestorbenen Pflanzenmaterial dieser Sumpfwälder bildete sich über die Jahrmillionen schließlich die Steinkohle, die einer ganzen Region in Deutschland den Spitznamen "Kohlenpott" gab.

In geologischen Zeiträumen wachsen und vergehen selbst Gebirge wie im Zeitraffer. Das riesige variszische Gebirge, welches im Karbon seine höchsten Ausmaße erreichte, war bis zum Ende des darauf folgenden Erdzeitalters, dem Perm, schon wieder weitestgehend abgetragen. Deutschland dürfte damals eine ähnliche Anmutung aufgewiesen haben wie die heutige Sierra Nevada mit ihrer weiten hügeligen Landschaft.

Das Meer eroberte sich wieder größere Bereiche zurück. Vor allem im Norden Deutschlands kam es wohl immer wieder dazu, dass Meeresarme abgeschnitten wurden und das Wasser darin verdunstete. Es entstanden große Salzablagerungen, denen wir unsere Salzbergwerke verdanken. Speisesalz aus den Tiefen der Erde ist letztendlich also auch Meersalz, wenn auch mit einem durchaus respektablen Alter.

Doch das Salz im Untergrund würzt nicht nur unsere Speisen, es führt auch zu Hebungen des darüberliegenden Gesteins. Die Nordseeinsel Helgoland etwa wurde, wenn auch erst deutlich später, durch ein Salzlager im Untergrund über den Meeresspiegel gehoben.

Die Auftriebskraft entsteht durch die geringe Dichte des Salzes im Vergleich zum umliegenden Gestein. Die Kräfte die dabei wirken, kann man sich recht einfach veranschaulichen: Man muss nur einmal ein Stück Holz unter Wasser drücken.

Aquarell: 'Steinkohlewald' - Landschaft mit Vegetation des Karbon.

Die ersten Sumpfwälder im Karbon

Wüste und Meer

Vor rund 250 Millionen Jahren begann das sogenannte Erdmittelalter, die Ära, in der sich die Dinosaurier zur dominierenden Lebensform entwickelten. Für das heutige Deutschland begann diese Phase der Erdgeschichte mit steigenden Temperaturen.

Die noch junge Kontinentalkruste Mitteleuropas, ursprünglich am Äquator entstanden, wanderte gen Norden und durchquerte dabei den Wüstengürtel. Die nördlichen Regionen Deutschlands waren damals zum großen Teil eine trockene, sandige Landschaft mit nur periodisch fließenden Flusssystemen. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist der in vielen Regionen noch anstehende Buntsandstein.

Im Süden Deutschlands existierte dagegen ein Meer, welches sich vor rund 200 Millionen Jahren immer weiter öffnete und mit dem Auseinanderbrechen Pangäas weiter gen Norden vordrang. Es war ein flaches, tropisches Meer, mit zum Teil riesigen Riffstrukturen und mit vereinzelten Inseln durchsetzt. Deutschland muss damals ein regelrechtes Urlaubsparadies gewesen sein, vergleichbar den heutigen Bahamas.

Allerdings waren die Lebewesen an Land, aber auch im Wasser und in der Luft, für uns eher gewöhnungsbedürftig. Die wunderbare Fossilfundstätte von Solnhofen mit dem berühmten Archaeopteryx-Fund gibt uns heute eine kleine Vorstellung davon, wie die Tier- und Pflanzenwelt damals aussah.

Auch die Fossilfunde von Fischsauriern (Ichthyosaurier) und die zahlreichen Ammoniten-Funde auf der Schwäbischen Alb, etwa bei Holzmaden, entstanden aus Meeresablagerungen dieser Zeit. Die Ammoniten sind hier so zahlreich vertreten, dass es zeitweise tatsächlich Überlegungen gab, sie zum Wappentier Deutschlands zu machen.

Luftaufnahme der Inseln vor Great Exuma Island (Bahamas).

Süddeutschland im Jura: ein Urlaubsparadies

Deutschland in der Erdneuzeit

Die Erdneuzeit brachte für Deutschland einige Veränderungen. Die Kontinente näherten sich langsam ihrer heutigen Position an. Afrika prallte auf Eurasien und ein neues Gebirge begann zu wachsen: die Alpen.

An anderer Stelle begann sich die Erde zu senken: Der Oberrheingraben entstand. Er ist Teil eines riesigen Grabensystems, welches sich vom Süden Frankreichs bis hinauf in die Nordsee erstreckt. Wäre der absinkende Oberrheingraben nicht beständig mit Sedimenten aufgefüllt worden, hätten wir heute einen beeindruckenden Canyon mit rund 4000 Meter steilen Wänden zwischen dem Schwarzwald und den Vogesen mit dem Pfälzer Wald.

Sowohl die Alpenbildung als auch das Absinken des Oberrheingrabens war mit starkem Vulkanismus verbunden, der sich wie ein Band quer durch Deutschland zog. Die Vulkane in der Eifel haben uns die malerischen Maarseen hinterlassen.

Der Vogelsberg (Hessen), der einzige Schildvulkan Deutschlands, förderte in seiner aktiven Zeit vor rund 15 Millionen Jahren gigantische Lavamengen an die Erdoberfläche. Mit einem Durchmesser von rund 60 Kilometern ist er etwa doppelt so groß wie der Ätna.

Noch vor rund 12.000 Jahren gab es einen gewaltigen Ausbruch in der Eifel, der zur Bildung des Laacher Sees führte. Das Material wurde Tausende von Kilometern über Nord- und Osteuropa verstreut und dient noch heute den Geologen als deutliche Zeitmarkierung.

Vor drei Millionen Jahren begann eine globale Klimaveränderung die Lebensbedingungen in Deutschland komplett zu verändern. Das Eiszeitalter begann, in dem wir uns noch heute befinden. Während der Kaltzeiten waren der gesamte norddeutsche Raum, aber auch die südlichen Gebiete am Alpenrand, mit Schnee und Eis bedeckt.

Die Eismassen gaben Deutschland buchstäblich den letzten Schliff und formten die Landschaften, wie wir sie heute kennen. So ist etwa die norddeutsche Tiefebene mit bis zu 200 Meter mächtigen Sandablagerungen aus der Eiszeit bedeckt. Auch die Alpentäler sind stark von Gletschern geformt, und die Seen des Alpenvorlandes sind Überbleibsel der geschmolzenen Gletscher.

Blick über das Rhone-Tal zum Massiv der Cornettes de Bise in den Alpen.

Die Alpen entstanden in der Erdneuzeit

Wie es weitergeht

Eurasien (und damit auch Deutschland) liegt als die größte kontinentale Kruste sehr stabil auf seiner gegenwärtigen Position. Afrika wird aber künftig weiter nach Norden wandern und somit die Alpen weiter aufschieben. Die Alpen werden also weiter in die Höhe wachsen, während das Mittelmeer diesem Prozess wohl zum Opfer fallen und komplett geschlossen wird.

Außerdem wird sich wohl Westeuropa von uns verabschieden. Die Bruchstelle ist der Oberrheingraben, der sich weiter öffnet, sodass eines Tages das Meer hier eindringen wird. Grundstücke am Westufer des Rheines könnten also in einigen Millionen Jahren Meeresblick aufweisen.

In rund 250 Millionen Jahren werden sich wahrscheinlich alle Kontinente einmal mehr zu einem großen Superkontinent vereinigen. Einen Namen haben die Geologen, die diesen Prozess am Rechner simuliert haben, bereits für ihn: "Novopangäa".

Ob ein Mensch diesen Kontinent einmal erblicken wird, ist wohl eher fragwürdig. Immerhin werden wir Menschen für künftiges intelligentes Leben hervorragende Leitfossilien sein: Nur wenige Jahrmillionen existent, aber mit weltweiter Verbreitung.

Quelle: SWR | Stand: 14.07.2020, 13:55 Uhr

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