Größte Industrienation Europas
Es war das Zeitalter der Erfindungen: das Auto, der Zeppelin und die Eisenbahn setzten sich durch, die Wissenschaften wurden gefördert und die Stahl- und Eisenproduktion wuchs.
Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich das Kaiserreich Deutschland zur größten Industrienation Europas: Sein Anteil an der Weltindustrieproduktion lag bei rund 15 Prozent, ein Prozent mehr als der britische Anteil. Wirtschaftsmacht Nummer eins waren aber unangefochten die USA mit einem Drittel Anteil an der Weltindustrieproduktion.
Aus der Herkunftsbezeichnung "Made in Germany", die ursprünglich Waren vermeintlich minderer Qualität kennzeichnen sollte, war nach und nach ein Qualitätsnachweis geworden.
Automobil
Als Carl Benz 1886 zum ersten Mal mit einem krachenden und stinkenden Motorwagen eine Strecke von etwa 100 Metern durch Mannheim fuhr, war dies die Geburtsstunde des Automobils. Benz setzte als Erster einen Verbrennungsmotor ein. Das Automobil "als Gefährt der Zukunft" verdrängte mehr und mehr das Pferd.
Die "Motor-Kutsche" oder das "automobile Straßenfahrzeug" ersetzten die eleganten Vierspänner, die Droschken verschwanden aus dem Straßenbild. Der 1899 gegründete erste Automobilklub hatte zunächst nur 83 Mitglieder, durfte sich bald aber mit dem Zusatz "kaiserlich" schmücken.
Die Konstruktion der ersten "Hexenkarren" lehnte sich erst eng an die früheren Pferde-Fuhrwerke an. Mit zwei bis sechs PS fuhren um die Jahrhundertwende die ersten Motorwagen auf deutschen Straßen, mit 4000 bis 7000 Goldmark durchaus teuer in der Anschaffung.
Erst die von Henry Ford begründete Fließband-Produktion machten die Fahrzeuge für breitere Schichten erschwinglich. Doch zunächst herrschte nicht nur Technikbegeisterung.
Viele Menschen waren von den Automobilen irritiert, Kinder warfen Steine, Bauern legten Baumstämme quer über die Straße. Doch der Siegeszug des Autos war nicht mehr zu stoppen.
Zeppelin
Größte Aufmerksamkeit erregten in Deutschland um die Jahrhundertwende die Luftschiffe des Grafen Ferdinand von Zeppelin. Zwar war der Graf nur einer von vielen Entwicklern innerhalb der Luftschifffahrt, verstand sich aber als Unternehmer hervorragend zu verkaufen.
Wegen einer Serie von Unfällen wurde er im Volksmund "der Narr vom Bodensee" genannt. Doch der Graf ließ sich nicht beirren: "Für mich steht naturgemäß niemand ein, weil keiner den Sprung ins Dunkel wagen will. Aber mein Ziel ist klar und meine Berechnungen sind richtig. "
Nach mehreren Rückschlägen gelang Zeppelin mit seinem dritten Luftschiff LZ 3 der Durchbruch. Im Juli 1900 hob der "Zeppelin" für eine Fahrt von nur 18 Minuten ab. Die Öffentlichkeit war begeistert.
Für Zeppelins Erfindung interessierte sich bald auch die deutsche Armee, die die Beherrschung des Luftraumes nicht den französischen Militärs überlassen wollte. Denn Frankreich betrieb bei Paris schon länger eine Militärluftschifferschule.
Industrie und Banken
Mit der 1871 eingeführten Goldmark gab es deutschlandweit erstmals ein einheitliches Zahlungsmittel. Dadurch wurde ein deutscher Kapitalmarkt überhaupt erst möglich, der zusätzlich von Milliarden Francs-Zahlungen durch Frankreich belebt wurde, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 als Entschädigung zu zahlen waren.
Es entstanden große Geschäftsbanken, die den Unternehmen das für Investitionen erforderliche Geld langfristig zur Verfügung stellten und die Bildung großer Konzerne und Kartelle förderten. Vor allem die 1870 von Georg von Siemens gegründete Deutsche Bank sollte mit ihren Filialen auf allen Erdteilen die deutsche Außenwirtschaft unterstützen.
Die Deutsche Bank brachte unter anderem die Aktien von AEG, Siemens und Mannesmann an die Börse und gewann damit großen Einfluss auf die Industrie. Schon 1914 war sie das größte Geldinstitut der Welt.
In der sogenannten Gründerzeit entstanden zahlreiche neue Aktiengesellschaften, der Aktienhandel florierte in bis dahin unbekanntem Ausmaß, Aktienkurse stiegen scheinbar unbegrenzt, das Spekulationsfieber erfasste das Bürgertum. Gleichzeitig trieben Spekulanten Bodenpreise und Mieten in die Höhe.
Gerade die beiden letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg standen in Deutschland im Zeichen wirtschaftlicher Hochkonjunktur. Es entwickelten sich neue industrielle Kernsektoren: Maschinenbau sowie vor allem Großchemie und Elektroindustrie. Jede zweite elektrische Maschine und Installation weltweit stammte 1914 etwa von AEG oder Siemens.
Außenpolitik und Rüstung
Das Streben nach Weltmacht und Prestige sowie der Erwerb von Kolonien setzten um die Jahrhundertwende ein internationales Wettrüsten in Gang. Nach der Entlassung von Reichskanzler Otto von Bismarck 1890 strebte das Kaiserreich unter dem "persönlichen Regiment" Wilhelms II. ebenfalls nach Weltgeltung.
Seine sprunghafte Außenpolitik und seine mit viel Herzblut betriebene Aufrüstung der Flotte führten schließlich dazu, dass sich Frankreich, England und Russland gegen Deutschland verbündeten.
Zum größten Industrieunternehmen in Deutschland entwickelte sich im Kaiserreich der Krupp-Konzern, der 1914 rund 80.000 Mitarbeiter beschäftigte. Die Gussstahlfabrik von Krupp in Essen war mit 40.000 Beschäftigten die größte weltweit und die bedeutendste Rüstungsschmiede des Reiches.
Im Kaiserreich heizten zudem nationale Verbände die Aufrüstung an. Sie sahen darin Chance und Voraussetzung für den Erwerb neuer überseeischer Gebiete.
Im Zentrum des Rüstungswettlaufs stand dabei die Flotte, mit der das Kaiserreich unter dem Staatssekretär im Reichsmarineamt, Alfred von Tirpitz, zur zweitstärksten Seemacht nach Großbritannien aufstieg.
(Erstveröffentlichung 2014, letzte Aktualisierung 31.03.2017)