Reichsgründung: Die Länder einigen sich
Nach dem Sieg der preußischen Truppen und ihrer Verbündeten über das französische Heer bereiteten die Deutschen die Gründung des Deutschen Reichs vor. Doch es gab ein Problem: Zwar waren die süddeutschen Länder Bayern, Baden, Württemberg und Hessen als Bündnispartner bereitwillig mit in den Krieg gezogen. Doch dem Norddeutschen Bund beitreten und sich einem preußischen Kaiser unterordnen – das wollte vor allem Bayerns König Ludwig II. nicht.
Nach diplomatischen Verhandlungen mit den einzelnen Ländern ab September 1870 wurden zwei Monate später schließlich die "Novemberverträge" geschlossen. Diese Verträge umfassten vor allem die Gründung des Reichs sowie den Beitritt Bayerns und Württembergs zur Deutschen Bundesverfassung.
Der Kaiserbrief und der "gekaufte" König
Die Zustimmung des bayerischen Königs Ludwig II. erkaufte sich Otto von Bismarck mit Geld, das der "Märchenkönig" dringend brauchte. Wegen seiner Vorliebe für Kunst und teure Bauwerke litt er unter chronischer Geldknappheit. In den kommenden Jahren erhielt er jährlich 300.00 Goldmark. Dazu kamen Sonderrechte bei Eisenbahn, Post und Telegrafenwesen.
Ludwig II. wiederum unterzeichnete im Gegenzug den sogenannten Kaiserbrief, den Bismarck ihm vorlegte. In diesem Brief trug Ludwig II. dem preußischen König formell den Titel des Kaisers an. Diese Rolle fiel an ihn, da er der bedeutendste Fürst unter denjenigen war, die dem Norddeutschen Bund beitraten.
Ludwig II. selbst musste übrigens nicht an der Kaiserproklamation teilnehmen – dieses Zugeständnis hatte er in den Verhandlungen erstritten. Am 3. Dezember 1870 erreichte der Kaiserbrief Wilhelm I., der sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Versailles aufhielt. Die Verfassung des Deutschen Reiches trat am 1. Januar 1871 in Kraft.
Wilhelm I. – Kaiser wider Willen
Auch der König von Preußen, Wilhelm I., sträubte sich zunächst, Kaiser des neuen Nationalstaats zu werden. Sein Ministerpräsident und späterer Reichskanzler Otto von Bismarck überredete ihn mit dem Argument, der Titel legitimiere die nationale Einigung. Überzeugt wurde Wilhelm schließlich von seinem Schwiegersohn, Großherzog Friedrich I. von Baden, dem ranghöchsten der anwesenden Fürsten bei der Kaiserproklamation.
Dann trat ein unerwartetes Problem auf: die Bezeichnung des neuen Kaisers. Sollte er "Deutscher Kaiser", "Kaiser Deutschlands" oder "Kaiser der Deutschen" sein? Bismarcks Vorschlag "Deutscher Kaiser" missfiel König Wilhelm I. Der Vorschlag mochte zwar für die anderen Fürsten die akzeptabelste Lösung sein; für Wilhelm I. war die Bezeichnung "Deutscher Kaiser" gleichbedeutend mit Machtlosigkeit.
Die Kaiserproklamation in Versailles
Am 18. Januar 1871 versammelten sich im Spiegelsaal von Versailles die deutschen Fürsten, hohe Militärs sowie die Spitzen der Hof- und Staatsbehörden – rund 1400 Personen. Mit der Zeremonie sollte der Kaisertitel bestätigt werden. Der Tag war bewusst gewählt: Genau 170 Jahre zuvor hatte Friedrich I. sich selbst in Königsberg gekrönt – Preußens erster König.
Bei der Zeremonie hatte wieder Otto von Bismarck die Finger im Spiel, um bei der Kaiserbezeichnung seinen Willen durchzusetzen. Nach dem Ende des Proklamationstextes, so hatte er den badischen Großherzog Friedrich instruiert, sollte dieser rufen: "Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch! hoch! hoch!" Damit wurde aus Wilhelm der Deutsche Kaiser – und Bismarck hatte gesiegt.
UNSERE QUELLEN
- Deutsches Historisches Museum Online: "Die Reichsgründung 1871"
- Deutsches Historisches Museum Online: "1871 – Reichsgründung im Krieg"
- Bundeszentrale für politische Bildung: "Äußere und innere Reichsgründung"
- Haus der Bayerischen Geschichte: "Der deutsch-französische Krieg 1870/71, die Reichsgründung und Bayern im Kaiserreich"
- Otto-von-Bismarck.net: "Bismarck und Köniug Ludwig II. von Bayern"
- Uwe Klussmann, Joachim Mohr (Hg.): "Das Kaiserreich. Deutschland unter preußischer Herrschaft". Verlag Goldmann, München 2016